„Hymenoptera – wehrhaft zarte Flügelwesen“ – so nennen die vier Künstlerinnen Heide Leciejeweski, Ingrid Ott, Anne-Bärbel Ottenschläger und Rita Gabler diese Ausstellung. Sie alle haben das Leben der biologischen Ordnung der „Hautflügler“ (Hymenoptera) studiert, zu denen die Bienen, Wespen u.a. gehören, und sind so fasziniert von den Formen, welche die Natur hier hervorgebracht hat, dass sie einen Transfer in die Kunst versuchen. Sie arbeiten mit den Werkstoffen der Natur; Natur und Kunst gehen hierbei eine innige Verbindung ein. Eine Sphäre der Natur, von der wir heutzutage mehr oder weniger entfremdet sind, wird uns damit wieder gegenwärtig.
Zu den Arbeiten der Künstlerinnen:
In Heide Leciejewskis Arbeiten nimmt das Sechseck einen zentralen Platz ein. Bienenwaben bestehen aus sechseckigen Zellreihen. Diese Bauweise, die Geometrie der Wabe, ist die effzienteste. Denn dabei wird mit dem geringsten Materialaufwand das größtmögliche Fassungsvermögen und Maximum an umbautem Raum bei gleichzeitig höchster Stabilität erzielt. Die Wabenform des Sechsecks begegnet uns im Alltag immer wieder. Maschendrahtzäune und die Netze an Fußballtoren werden oft sechseckig angefertigt. Die „klassischen“ Fußbälle bestehen aus Fünf- und Sechsecken, die zusammen einen Polyeder als geometrische Form bilden. Und in der Architektur hat das Sechseck, das wiederum aus sechs Dreiecken zusammengesetzt wird, in den Bauten Richard Buckminster Fullers weltweite Verbreitung gefunden.
Anne-Bärbel Ottenschläger ist vom Bienenwachs fasziniert, von seinem Duft und der Möglichkeit es in verschiedenen Aggregatzuständen, von flüssig bis fest, zu verarbeiten. Sie kann es kratzen, bügeln, streichen, schmelzen, spachteln, damit malen, drucken oder collagieren. Auch Skulpturen sind möglich. Wenn in das Wachs Farbpigmente eingerührt werden, erhält das Ganze eine neue künstlerische Dimension. Anne-Bärbel Ottenschläger lässt sich von der Sinnlichkeit des Materials und von den eigenen Impressionen leiten. Das Naturprodukt Wachs wird in einen künstlerischen Werkstoff für Objekte und Übermalungen transformiert. Am Ende steht die Visualisierung des Neuen. Auf diese Weise macht sie in ihren Übermalungen von Fotos auch Choreografien des Bienentanzes sowie deren Flugbewegungen sichtbar.
Ingrid Ott arbeitet gerne mit Papierschichtungen. Neben feinstem japanischem Awagami Papier verwendet sie dazu Bienenwachssalbe, Steinmehl und zartes Pigment, manchmal auch Schellack. Bis zu 20 Schichten können da übereinander angelegt werden, ein langwieriger Prozess, dem stetigen Neubilden und Sichverändern in der Natur angemessen. Neben Honig und Propolis, dem Bienenharz, mit dem der Stock ausgekleidet und abgedichtet wird, erscheinen auch noch Grafit und Acryl auf der Materialpalette. Den Lebenszyklus der Bienen zeichnet Ingrid Ott mit ihren Wabenbildern nach. Dabei werden Eiablage und Kinderstube illustriert, die Bienenkönigin, das Ausfliegen und Sammeln, danach Füllen der Waben, schließlich die Honigproduktion und zum Schluss das Ende des Lebensyzyklus mit Neubeginn. So werden auch Vergänglichkeit und Sterblichkeit sichtbar gemacht. Doch das Leben der Bienen geht weiter, obwohl die Königin stirbt. Denn zuvor wurden noch neue Eier gelegt.
Rita Gabler hat im Dachstuhl Wespennester entdeckt und war von der feinen, wunderbaren Struktur der Hüllen fasziniert. Die Farbigkeit dieser Gebilde wird hier verfremdet hervorgehoben, die Maserung der Hülle sichtbar und die Architektur der mehrstöckigen Waben nachvollziehbar gemacht. Das Geschenk der verlassenen Bauten dieser Tiere wird dankbar angenommen und künstlerisch transformiert. Damit werden die Wespen zu Architekten einer faszinierenden Lebenswelt. Ansonsten eher als lästige und gefährliche Außenseiter im Reich der Hymenoptera wahrgenommen, deren Bauten zerstört werden, sobald sie menschlichen Behausungen zu nahe kommen, erscheinen sie uns nun als kreative Baumeister in einer Welt voller überraschender Erkenntnisse. Auch Wespen bilden Staaten. Mit Hilfe des Nektars wird die Königin gestärkt. Sie legt die Eier, die sie selbst füttert und großzieht. Daraus erwächst eine Armee von Ammen, Baumeistern und Wächtern. Deren Arbeit macht die Staatsgründung möglich, die Königin konzentriert sich dann nur noch auf die Eiablage. Das Ergebnis ist ein lebendiges, funktionierendes Gemeinwesen mit vielfältigen Aufgabenbereichen. Mit ihren Arbeiten gelingt es Rita Gabler, diese Welt zu konservieren und damit ein Leben im Verborgenen ans Licht zu heben. (c) Dieter Mauch