„Was Mensch schon längst über die Menschenrechte wissen sollte!“ So hätte dieser fundierte und hoch interessante Vortrag heißen können, den Rechtsanwalt Ullrich Hahn im Rahmen der Menschenrechtstage im Haus des Gastes hielt. Er beleuchtete eine Fülle von neuen und erhellenden Aspekten des Themas , ohne die ein Verständnis dessen, was wir heute unter Menschenrechten verstehen, nur bruchstückhaft möglich ist.Der Referent ist als Rechtsanwalt unter anderem Vertragsanwalt des Deutschen Roten Kreuzes für die Beratung von Flüchtlingen und Mitglied der Rechtsberater-Konferenz des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Deutschland.
Während noch vor dem 2. Weltkrieg Menschen im Völkerrecht kaum eine Rolle spielten, zogen überhaupt erst nach den Verbrechen dieses Krieges die Menschenrechte ins Völkerrecht ein. Die UN-Deklaration von 1948 stellte noch ein unverbindliches Papier dar, aber die 1950 unterzeichnete Europäische Menschenrechtserklärung wurde geltendes Recht für alle europäischen Staaten einschließlich der damaligen Sowjetunion und Türkei. So kann man es heute als Fortschritt ansehen, dass es den Europäischen Gerichtshof gibt, der die Menschenrechte verteidigt.
So wurde auch mit der Zeit die frühere Sicht, dass das, was ehemals Rechtens gewesen sei, heute nicht Unrecht sein könne, wie es noch Filbinger ausdrückte, korrigiert: Von dem Standpunkt aus, was wir heute als Recht erkennen, können wir feststellen, dass es auch ein Unrecht war, wenn es früher geltendes Gesetz war. Ein Blick in die Geschichte zeigte, wie sehr die Eigentumsverhältnisse die Freiheit des Menschen einschränkten. Bis in die Anfänge des 19.Jahrhunderts galt bei uns die Leibeigenschaft – Leib und Gut des Menschen gehörte den „Herren“. Die Bauernkriege, die französische Revolution waren Aktionen für die Freiheit, wurden aber immer klein gehalten. Selbst als Ende des 18. Jahrhunderts erste Ansätze zur Auflösung der Leibeigenschaft aufkamen, mussten die Bauern Ablösesummen an die Herren zahlen, Grundlage noch heute für den Reichtum bestimmter Gruppen.
Es zeigte sich offensichtlich schon früh, dass Reichtum das größte Hindernis bei der Umsetzung der Menschenrechte ist. Die Leibeigenen früher forderten Freiheit und Eigentum. Heute wird die errungene Freiheit immer mehr begrenzt durch ihren Gegenspieler: Sicherheit. Das Eigentum dagegen vermehrt sich unbegrenzt, denn „wer das Geld hat, hat die Macht, andere für sich arbeiten zu lassen“ (Tolstoi). Wenn in Deutschland 1% der Bevölkerung 50% des Privatvermögens besitzt, dann stellt schon allein diese Spanne zwischen arm und reich die Frage nach den Menschenrechten: Was ist Recht und was ist gerecht?
Mit der Frage, wie man die Menschenrechte schützen könne, schloss der Referent seinen Vortrag. Hintergrund dafür, dass bei uns ein Verfassungsgericht geschaffen wurde, war letztlich die Annahme, dass auch Gesetze Unrecht sein können. Daraus leitet sich auch ein Recht auf Ungehorsam gegenüber Gesetzen her. Das Gesetz ist nicht immer auch gleich Recht und auch wer die Macht hat, ist nicht automatisch im Recht. Menschenrechte lassen sich nicht mit Gewalt umsetzen, sie wurden aber stets gegen die Macht der Mächtigen durchgesetzt. Immer wieder wurden Menschenrechte nicht durch die staatliche Macht geschützt, sondern mussten sogar vor der staatlichen Macht geschützt werden.
In der anschließenden äußerst lebhaften Diskussion wurden dann konkrete Ansätze berührt, wie der Umgang mit den Flüchtlingen, das bedingungslose Grundeinkommen oder die Steuergesetzgebung. Sie machten deutlich, dass es nicht ausreicht, die Menschenrechte nur auf dem Papier zu formulieren, sondern dass nur eine neue Haltung, ein menschenwürdiger Blick auf das eigene Menschenbild nachhaltige Verhaltensänderungen bewirken kann.
Die Presse berichtet:
SÜDKURIER, 23.05.2015 > Menschenrechte sind schützenswert